Nachhaltigkeit in der Wissenschaft:Kreative Köpfe und künstliche Intelligenz

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Mit Hilfe künstlicher Intelligenz soll der Klimawandel aufgehalten und umweltfreundliche Projekte gefördert werden. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Die Wissenschaft will nachhaltige Konzepte für die Finanzindustrie entwickeln. Auch Maschinen sollen helfen, den Klimawandel aufzuhalten.

Von Marcel Grzanna

Studenten der Frankfurt School of Finance and Management bekamen in den vergangenen Wochen einige für sie unerwartete Fragen gestellt. Was halten Sie von Kursen und Seminaren zum Aufbau eines nachhaltigen Finanzsystems? Bei vielen Studenten erzeugte die Frage einen Aha-Effekt. Der Begriff Nachhaltigkeit gilt unter jungen Menschen mehr denn je als Buzzword, also eines, das besondere Beachtung erzeugt.

"Deutschland zählt nicht zu den Vorreitern in Europa."

Alle Befragten bekundeten ihr Interesse. Nachhaltigkeit in Zeiten von "Fridays for Future" klingt gut. "Aber das darf nicht auf Kosten der Grundausbildung gehen", merkten einige an. Heißt im Klartext: Erst wenn die Funktionalität des Finanzsystems im Rahmen des Studiums bereits vermittelt wurde und danach immer noch Zeit bleibt, dann könne man gerne das Thema Nachhaltigkeit bearbeiten.

Nachhaltigkeit hat sich also offenbar noch längst nicht flächendeckend als vorrangiger Denkansatz durchgesetzt, nicht einmal bei jenen unter 25. Dabei alarmiert die Wissenschaft die Welt seit Jahren, sie müsse nachhaltiger leben und wirtschaften. "Das Ziel muss es sein, einen Kulturwandel zu erreichen. Das beginnt damit, dass in Unternehmen die Nachhaltigkeit in den Fokus rückt, und diese Unternehmen dann zunehmend nach Fachkräften suchen, die sich während ihrer Ausbildung intensiv mit Nachhaltigkeit befasst haben. Dann ändern auch die Universitäten ihre Lehrpläne", sagt die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin Nadine Strauß von der Universität in Oxford, die die Befragung an der Frankfurt School durchgeführt hat. Strauß beteiligt sich an einem neuen Projekt der Innovationsplattform Futury in Frankfurt. Unter der Bezeichnung "The Mission: Banking - Be Green!" wollen die Initiatoren Finanzunternehmen und Studenten zusammenbringen.

In zwölf Themenbereichen sollen nachhaltige Lösungen für aktuelle Herausforderungen in der Industrie und Finanzwirtschaft von kreativen Köpfen entwickelt werden. Drei Monate bekommen sie dafür Zeit. Die Deutsche Bank unterstützt das Projekt, auch die Unternehmensberatung Bain & Company und die Entsorger von Greencycle. Jeder Sponsor verfolgt dabei seine eigenen Interessen, aber alle bekunden den Fokus auf das gemeinsame Ziel.

Der Weg zum globalen Kulturwandel ist weit. "Deutschland zählt nicht zu den Vorreitern in Europa. Da liegen Großbritannien, Frankreich und die skandinavischen Länder deutlich vorn", sagt Forscherin Strauß. Anderswo auf der Welt ist derweil noch Grundlagenarbeit zu leisten. Ein angehender nigerianischer Student der Frankfurt School gestand, von "Sustainable Finance" erst wenige Tage zuvor das erste Mal gehört zu haben.

Genaue Datenerfassung könnte die Wärmestrahlung einzelner Gebäude ermitteln

Anderswo versucht die Wissenschaft, ihren Einfluss auf Politik und Industrie zu stärken, indem sie die Datenerfassung mithilfe des Einsatzes künstlicher Intelligenz zu optimieren versucht. So zum Beispiel das Alan-Turing-Institut in London, das sich die Frage stellt, wie Datenerfassung eingesetzt und mit Finanzinstitutionen verknüpft werden kann, um umweltfreundliche Projekte zu fördern. Das Institut bringt Forscher aus verschiedenen Disziplinen mit Vertretern der Finanzindustrie und Wirtschaft zusammen, um praktische Lösungen zu ermitteln. Die Idee dahinter: "Datenwissenschaften und künstliche Intelligenz können dem Finanzsystem helfen, exakte, aktuelle und zusammenhängende Daten zu sichern." Durch die neu gewonnene Transparenz ließen sich Informationsungleichgewichte zwischen Unternehmen und ihren Anlegern sowie zwischen Finanzinstituten und ihren Aufsichtsbehörden beseitigen.

Genaue Datenerfassung könnte beispielsweise die Wärmestrahlung einzelner Gebäude in einer Stadt ermitteln. Dort, wo viel Energie verbraucht wird, wie beim Einsatz von Klimaanlagen, könnten Gebäude nachisoliert oder mehr Grünflächen in unmittelbarer Nähe angelegt werden, um direkte Sonneneinstrahlung zu verhindern. Auch Verkehrsströme könnten besser erfasst werden, um Staus und damit höhere Emissionen zu vermeiden. Sogar die Taktung des öffentlichen Nahverkehrs könnte entsprechend angepasst werden.

Gute Beispiele für den praktischen Einsatz von Daten liefert die koreanische Hauptstadt Seoul. Dort werden neben Feinstaub oder Lärm auch Windverhältnisse erfasst und verarbeitet. Die Bedingungen können beim Bau künftiger Großprojekte berücksichtigt werden, indem man die Planung neuer Gebäude den natürlichen Umständen in der Stadt besser anpasst. Auch die Verteilung und Anzahl von Lichtquellen jeglicher Form fließen in die Datenbank ein. Die Informationen werden dann dafür genutzt, eben dort Lichtquellen zu installieren oder zu entfernen, wo sie nötig oder überflüssig sind. Der Energiekonsum des Zehn-Millionen-Molochs soll dadurch effizienter werden.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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